Arbeitsrecht

Mindestlohnvergütung für Rufbereitschaft in der eigenen Wohnung

  1. Mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeit ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft. Dem gegenüber sind Zeiten der Rufbereitschaft als solche (anders die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft) keine vergütungspflichtige Arbeitszeit.
  2. Eine Bereitschaftszeit, die von Montag bis Donnerstag den Zeitraum von 16:15 Uhr bis 7:00 Uhr des darauffolgenden Tages umfasst, betrifft einen Zeitraum, in dem ein Arbeitnehmer sich regelmäßig innerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhält und er infolge der Ortsbeschränkung kaum Einschränkungen bezüglich seines Freizeitverhaltens unterliegt.
  3. Da das von dem Arbeitnehmer im Streitfall zu betreuende Telefon auf den zuständigen Meister umsprang, sofern er den Anruf nicht bis zum 4. Klingelzeichen angenommen hatte, unterlag er keiner relevanten Einschränkung bezüglich seines Aufenthaltsortes während der eingeteilten Dienstzeit.
  4. Wenn ein Arbeitnehmer in einem Bereitschaftszeitraum vom Januar bis Mai 2022 lediglich 20 Anrufe entgegennimmt, stellt sich die Bereitschaftszeit auch unter Berücksichtigung der Kriterien Häufigkeit und Dauer des Einsatzes als Rufbereitschaft dar.

Was ist passiert?

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin. Die Klägerin war als geringfügig entlohnte Beschäftigte „für die Tätigkeit als Meldestelle gemäß GW 1200“ bei einem Gasnetzbetreiber und Wasserversorgungsunternehmen beschäftigt. In der Arbeitsanweisung „Rufbereitschaft und Meldestelle“ heißt es unter anderem unter 3.1, dass außerhalb der Dienstzeit die Meldestelle gemäß den aktuellen Rufbereitschaften durch Externe abgesichert wird. Die Dienstzeiten der externen Meldestelle lauten: Montag bis Donnerstag 16.15 Uhr bis 7:00 Uhr des darauffolgenden Tages, Freitag 12:15 Uhr bis Montag 7:00 Uhr der folgenden Woche und an gesetzlichen Feiertagen. Weiter muss ab 16:15 Uhr die Meldestelle die Rufbereitschaft über das „Bereitschaftshandy“ und ggf. bei Nichterreichbarkeit den „Cityruf-Empfänger Rufbereitschaft“ informieren.

Neben der Klägerin beschäftigte die Beklagte drei weitere Mitarbeiter für die externe Meldestelle. Die Beklagte stellte der Klägerin für ihre Meldedienste einen auf die Beklagte laufenden Telefonanschluss in der Wohnung der Klägerin sowie eine kleine Telefonanlage mit einer Reichweite von 300 Metern zur Verfügung. Konnte die Klägerin in Zeiten ihrer Einteilung die Tätigkeit nicht verrichten, stellte sie ihr Telefon nach Absprache auf dasjenige eines anderen der drei Kollegen um, die ebenfalls als Meldestelle fungierten. Einer Abstimmung mit der Beklagten hierzu bedurfte es nicht. Sofern die Klägerin einen Anruf spätestens bis zum vierten Klingelton nicht annahm, sprang das Telefon aufgrund einer entsprechenden technischen Vorrichtung auf den diensthabenden Meister im Betrieb um.

Die Klägerin erzielte zuletzt eine monatliche Bruttovergütung i.H.v. 100 EUR. Ab dem 1.6.2022 hat die Beklagte die Störungsannahme außerhalb der Geschäftszeit an einen externen Dienstleister vergeben. Die Klägerin leistete im Jahr 2019 insgesamt 17 Bereitschaftswochen, in den Jahren 2020/2021 jeweils 18 Bereitschaftswochen und im Jahr 2022 sieben Bereitschaftswochen. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin für jeweils 119,74 Arbeitsstunden wöchentlich den jeweiligen Mindestlohn unter Anrechnung der bezogenen Vergütung. Das ArbG hat der Klage insoweit stattgegeben.

Wie hat das LAG entschieden?

Es hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Zeiten der Rufbereitschaft als solche stellten keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG dar. Rufbereitschaft, bei der der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz bleiben müsse, sei insgesamt als Arbeitszeit einzustufen, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen auferlegt würden, die ihn bei objektiver Betrachtung ganz erheblich darin beeinträchtigten, die Zeit frei zu gestalten. Erreichten dagegen die Einschränkungen nicht diesen Intensitätsgrad und erlaubten sie es ihm, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen widmen zu können, stellten nur die Zeiten tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung Arbeitszeit dar. Die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers sei arbeitszeitrechtlich entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen, weil die Arbeitszeit-RL keine Zwischenkategorie vorsehe. Ruhezeit nach Art. 88 Abs. 2 der Arbeitszeit-RL sei jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Bei der streitbefangenen Tätigkeit handele es sich um Rufbereitschaft. Das Verbot für die Klägerin, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, bedeute nicht zwangsläufig, dass sie sich außerhalb ihres familiären und sozialen Umfelds aufhalten müsse. Außerdem sei ein solches Verbot für sich genommen weniger geeignet, der Klägerin die Möglichkeit zu nehmen, während der Bereitschaftszeit über die Zeit, in der sie nicht in Anspruch genommen werde, frei zu verfügen. Hinzu komme, dass die Bereitschaftszeit einen Zeitraum umfasse, in dem die Klägerin sich regelmäßig innerhalb ihres familiären und sozialen Umfelds aufhalte und sie infolge der Ortsbeschränkung kaum Einschränkungen bzgl. ihres Freizeitverhaltens unterliegen dürfte. Auch sei zu berücksichtigen, dass die der Klägerin zur Verfügung gestellte Telefonanlage ein Mobilteil mit einer Reichweite von 300 Metern umfasste.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, wie schwierig immer noch die Abgrenzung zwischen reiner Rufbereitschaft und einem Bereitschaftsdienst ist. Entscheidend dürfte hier wohl gewesen sein, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, das während der Rufbereitschaft zu betreuende Telefon einfach viermal klingeln zu lassen, bis es dann auf einen anderen Mitarbeiter umgeleitet wurde. Insoweit können wir die Entscheidung noch nachvollziehen. Nicht akzeptabel ist aus unserer Sicht aber die Argumentation im zweiten Leitsatz, nachdem sich Arbeitnehmer ab 16:15 Uhr regelmäßig innerhalb ihres familiären und sozialen Umfelds aufhalten und sie infolge der Ortsbeschränkung kaum Einschränkungen bezüglich ihres Freizeitverhaltens unterliegen. Hier scheint den Richtern offenbar doch ein soziales Umfeld außerhalb der eigenen vier Wände fremd zu sein.

(LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.12.2023 – 2 Sa 142/23)