Arbeitsrecht

Begünstigung eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes

  1. Das Betriebsratsmitglied trägt die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts, wenn es einen Anspruch auf eine höhere Vergütung auf §§ 611a BGB, 78 Satz S.2 BetrVG stützt.
  2. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung begünstige ihn unzulässig. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot ermöglicht.

Was ist passiert?

Der Kläger ist freigestelltes Betriebsratsmitglied und zuletzt seit 1. Juli 2016 in die Entgeltgruppe ES 17 eingruppiert. Grundlage der Eingruppierung ist eine im Unternehmen gültige Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) samt einer „Durchführungsanweisung Vergütung“ (DA). Auf dieser Basis erhielt der Kläger seit April 2007 regelmäßig Mitteilungen, dass die „Kommission Betriebsratsvergütung“ sein Arbeitsentgelt entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG angepasst habe.

Nach der Entscheidung des BGH vom 10. Januar 2023 (6 StR 133/22) überprüfte die Beklagte ihr System der Bemessung der Betriebsratsvergütung. Sie nahm für den Kläger eine (anonymisierte) Vergleichsgruppenbetrachtung zum 1. Januar 2002 vor; dabei verglich sie die Vergütungsentwicklung des Klägers mit denjenigen Karosseriewerkern, die wie der Kläger berufsfremd in dieser Funktion eingesetzt wurden. Von den zum Zeitpunkt 01.01.2002 alle nach ES 11 vergüteten Vergleichsgruppenmitarbeiter/innen entwickelte sich eine Person in die ES 17 und weitere sieben Personen in die ES 12. Der Median liegt bei ES 11.

Auf der Grundlage dieser Vergleichsgruppenbetrachtung teilte die Beklagte dem Kläger im Februar 2023 mit, er sei nach § 37 Abs. 4 BetrVG nur in die ES 11 einzustufen und zahlte die entsprechend geringere Vergütung. Außerdem behielt sie mit den Gehaltsabrechnungen Mai und Juni 2023 sie vermeintliche Überzahlungen in Höhe von 2.200 € netto ein. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Beibehaltung der ES 17 und hat erstinstanzlich gewonnen.

Wie hat das LAG entschieden?

Das LAG hat die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Zum einen habe die Vergütungsmitteilung ein berechtigtes Vertrauen des Klägers dahingehend begründet, dass die Beklagte auf Grundlage der GBV Vergütung und der dazu ergangenen DA die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Mitarbeitender und seine berufliche Entwicklung gewürdigt und die ihm als freigestelltes Mitglied gesetzlich zustehende erhöhte Entgelt zahlt. Beruft sich der Arbeitgeber wie vorliegend die Beklagte erst nach sieben Jahren darauf, dass die zugesagte Erhöhung der Vergütung das Betriebsratsmitglied nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässig begünstigt, so ist der Arbeitgeber für das Vorliegen einer unzulässigen Vergünstigung darlegungs- und beweisverpflichtet. Zum anderen scheitere die Darlegung bereits daran, dass die von der Beklagten gebildete Vergleichsgruppe der Mitarbeiter im Karosseriebau mit fachfremder Ausbildung nicht zum Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in das Amt eines Betriebsrats im Jahr 2006 gebildet worden ist. Dies ist der Zeitpunkt, der nach § 37 Abs. 4 BetrVG maßgeblich ist. Zudem mangelt es daran, dass eine anonymisierte Liste für den Kläger nicht einlassungsfähig sei. Es sei für ihn nicht zu erkennen, mit welchen Arbeitnehmern die Beklagte ihn betriebsüblich vergleichen möchte. Entscheidend komme hinzu, dass sich der Kläger fachlich weitergebildet habe, so dass er aufgrund seiner beruflichen Weiterentwicklung alle formalen Voraussetzungen für die Übernahme einer Stelle im Personalbereich als HR-Business-Partner oder als Personalreferent mitgebracht habe.

Fazit

Die angesprochene Entscheidung des BGH hat nicht nur bei VW eine Reihe von Verfahren ausgelöst, in denen es um die Frage der angemessenen Vergütung freigestellter Betriebsräte ging. Auch der Bundestag ist nicht untätig geblieben. Zum 25.07.2024 ist die Reform der Betriebsratsvergütung in Kraft getreten. Diese sieht unter anderem vor, dass Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln können. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist. Es bleibt abzuwarten, ob damit das Problem wirklich gelöst wird. Das Urteil war zum Zeitpunkt der Abschlussredaktion dieses Newsletters noch nicht rechtskräftig.

(LAG Niedersachsen, Urteil vom 1.7.2024 – 1 Sa 636/23)