Arbeitsrecht

Anfechtung einer Betriebsratswahl wegen dem Geschlecht „Divers“ in der Minderheit

  1. § 15 Abs. 2 BetrVG ist nicht so zu lesen, dass er das Geschlecht in der Minderheit absolut schützt, wenn dabei ein weiteres in der Minderheit befindliches Geschlecht benachteiligt wird.
  2. Die Wahl ist unwirksam, weil sich dieser Fehler auf das Wahlverhalten ausgewirkt haben könnte.

Was ist passiert?

Die Arbeitgeberin hat eine in einem ihrer Betriebe abgehaltene Wahl zu einen siebenköpfigen Betriebsratsgremium nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses angefochten.

Die vom Wahlvorstand erstellte Wählerliste enthielt 118 Personen, die als wahlberechtigt bezeichnet wurden. Hiervon waren 45 Frauen, 56 Männer und 17 Personen des Geschlechts „Divers“. Die letzte Gruppe umfasst Personen, die gegenüber der Arbeitgeberin keine Angabe über ihr Geschlecht gemacht haben oder mitgeteilt haben, dem Geschlecht „Additional Gender“ oder „Multiple Gender“ anzugehören.

Der Wahlvorstand schrieb die Wahl bezüglich der Feststellung des Geschlechtes in der Minderheit wie folgt aus:

„Nach § 9 BetrVG sind 7 Betriebsratsmitglieder zu wählen. Unter diesen müssen sich gemäß § 15 Abs. 2 BetrVG mindestens ein Angehörige der Minderheitengruppe, Divers befinden.“

Es traten zwei Listen zur Wahl an.

Die „Liste I“ bestand aus drei Personen, darunter zwei Männer auf den beiden ersten Plätzen und eine Frau auf dem letzten Platz.

Auf der „Liste II“ kandidierten elf Personen, darunter zwei Angehörige der Gruppe „Divers“, die auf den Plätzen 2 und 3 aufgestellt wurden, sowie eine Frau, welche auf Platz 11 antrat.

Nach Auszählung der Stimmen gab der Wahlvorstand folgendes Ergebnis bekannt:

Die „Liste I“ erhält zwei Sitze, davon zwei Männer. Die „Liste II“ erhält fünf Sitze, davon zwei Angehörige des Geschlechts „Divers“ sowie drei Männer. In das Gremium ist hiernach keine Frau gewählt worden.

Wie hat das ArbG entschieden?

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag der Arbeitgeberin statt und erklärte die Betriebsratswahl für unwirksam.

Zwar könne nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 BetrVG die Auslegung des Wahlvorstandes möglich sein. Denn diese Vorschrift bestimmt, dass das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.

Nach Ansicht des Wahlvorstandes war dies eben das Geschlecht „Divers“. Dieses Geschlecht hatte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 anerkannt. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin könne aber diese Entscheidung nicht auf die schon seit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahr 2001 geltende Vorschrift des § 15 Abs. 2 BetrVG angewandt werden.

Mit dieser verfolge zudem der Gesetzgeber den Zweck, den Anteil von Frauen in Betriebsratsgremien zu erhöhen. Jedenfalls in den Fällen, in denen durch den Schutz des „dritten Geschlechts“ der Schutz der Frauen leerlaufen würde, könne die Vorschrift nicht in diesem Wortsinn ausgelegt werden.

Die Wahl sei insgesamt für unwirksam zu erklären und nicht einfach nur das Ergebnis der in den Betriebsrat berufenen zu korrigieren. Dadurch das der Wahlvorstand die Wahl bezüglich des Geschlechts in der Minderheit falsch ausgeschrieben habe, sei es nicht auszuschließen, dass das Wahlverhalten einiger Abstimmender nicht beeinflusst worden sei. Ob die Entscheidung rechtskräftig ist, konnte vor Abfassung dieses Newsletters nicht in Erfahrung gebracht werden.

Fazit

Die Entscheidung ist konsequent und vertretbar, wenn auch der technische Aspekt überwiegt. Das Arbeitsgericht thematisiert leider nicht, inwiefern die heute geltende Vorschrift nicht verfassungswidrig ist, weil sie den Schutz des dritten Geschlechts verletzen könnte und inwiefern sie gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen gewesen wäre oder in Form einer Rechtsfortbildung eine verfassungskonforme Lösung möglich wäre.

Zuzustimmen ist jedoch dem Arbeitsgericht darin, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 2 BetrVG auf genau zwei Geschlechter (Männer und Frauen) zugeschnitten ist. Insofern besteht jedoch dringender Handlungsbedarf durch den Gesetzgeber. Das Thema ist, wie wir auf vielen Schulungsveranstaltungen für Wahlvorstände feststellen konnten, rege diskutiert worden. Wir hatten diese hierzu beraten und prognostiziert, dass die Wahl wahrscheinlich unwirksam wäre, man jedoch Geschichte schreiben würde – ein richtig und ein falsch gebe es nicht. Der Fall zeigt, dass dringend eine Lösung durch den Gesetzgeber angezeigt ist.

(ArbG Berlin, Beschluss vom 7.5.2024 – 36 BV 10794/23)