Arbeitsrecht

Annahmeverzug und böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

  • Klagt der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Entlassung auf Zahlung von Annahmeverzugsentgelt, muss er sich gem. § 11 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Von der demnach erforderlichen Kausalität eines böswilligen Unterlassens für einen entgangenen anderweitigen Verdienst kann nur ausgegangen werden, wenn dem Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bekannt war bzw. bekannt gemacht wurde.
  • Im entsprechenden Rechtsstreit trägt der Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer eine zumutbare Tätigkeit gefunden hätte und dass er diese konkrete Tätigkeitsmöglichkeit nicht wahrgenommen hat. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits während des Annahmeverzugszeitraums konkrete Stellenangebote unterbreitet, obliegt es im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, so konkret wie möglich hierzu vorzutragen.
  • Eine Darlegungslast des Arbeitnehmers kann aber nicht ausgelöst werden, wenn der Arbeitgeber erst nach dem Ende des Verzugszeitraums ermittelte Stellenangebote vorträgt, die auf dem Internetportal „Jobbörse“ der Agentur für Arbeit gestanden haben sollen und die dem Arbeitnehmer im Verzugszeitraum noch unbekannt waren. Eine solche erweiterte Darlegungslast des Arbeitnehmers kann auch nicht über den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung begründet werden.

Was ist passiert?

Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2021 gekündigt. Die dagegen eingereichte Kündigungsschutzklage war im August 2022 erfolgreich. Daraufhin macht der Kläger nunmehr Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022 geltend. Er hatte von der Agentur für Arbeit während des gesamten Zeitraums seiner Arbeitslosigkeit kein Vermittlungsangebot erhalten, obwohl schon Stellenangebote in Frage gekommen wären. Allerdings hatte der Kläger auch von Anfang an deutlich gemacht, auf den Arbeitsplatz bei der Beklagten zurückkehren zu wollen. Deshalb habe für ihn keine Notwendigkeit bestanden, sich anderweitig um Arbeit zu bemühen, da er sich entschieden hatte, seine Beschäftigung bei der Beklagten fortsetzen zu wollen. Zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem erstinstanzlichen Urteil habe nur eine kurze Zeitspanne bestanden. Spätestens nach dem erstinstanzlichen Urteil hätte die Beklagte den Kläger zur Vermeidung von Annahmeverzugsvergütungsansprüchen weiterbeschäftigen können. Sollte die Agentur für Arbeit durch die Nichtunterbreitung von Vermittlungsangeboten pflichtwidrig gehandelt haben, habe er das nicht zu vertreten.

Die Beklagte meinte, das Unterlassen jeglicher Bemühungen des Klägers, anderweitig Arbeit zu finden, sei böswillig und beruft sich auf Stellenangebote, die dem Kläger allerdings – insbesondere von der Agentur für Arbeit – nicht unterbreitet worden waren. Der Kläger wäre bei entsprechenden Bemühungen in der Lage gewesen, eine angemessene anderweitige Beschäftigung zu finden. Die Arbeitslosenquote sei im streitigen Zeitraum mit 3,0 - 3,4 % schließlich sehr gering gewesen. Ausweislich des Arbeitsmarktreports der Agentur für Arbeit habe es im Produktions- und Fertigungsbereich im Bezirk eine Vielzahl freier Stellen gegeben.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Wie hat das LAG entschieden?

Es hat die Berufung des Arbeitgebers überwiegend zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht habe in seiner Entscheidung vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23 zu Unrecht die Anforderungen an die Eigenbemühungen gekündigter Arbeitnehmer zur Vermeidung von Annahmeverzugslohn zu Lasten der Arbeitnehmer verschärft.

Es sei davon auszugehen, dass dem Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber das zugemutet und abverlangt werden könne, was er auch sozialversicherungsrechtlich ohnehin schulde. Die Pflicht des Arbeitnehmers, sich im Annahmeverzug des Arbeitgebers um anderweitigen Erwerb zu bemühen, könne aber regelmäßig auch nicht weiter reichen als die gegenüber der Versichertengemeinschaft bestehende Verpflichtung zur Beendigung der Arbeitslosigkeit.

Obwohl der Arbeitnehmer verpflichtet ist, aktiv Eigenbemühungen zur Erlangung einer neuen Beschäftigung zu entfalten, sei er nicht verpflichtet, sich unermüdlich um eine zumutbare Tätigkeit zu bemühen. Ein bestimmtes quantitatives Maß von Eigenbemühungen kann vom Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtlich vielmehr nur dann verlangt werden, wenn die Arbeitsverwaltung hierzu allgemeine Anordnungen gem. § 164 SGB III erlassen oder dem Arbeitnehmer durch Eingliederungsvereinbarung oder durch Verwaltungsakt individuelle Vorgaben gemacht habe.

Unzureichende Eigenbemühungen führen im Übrigen sozialversicherungsrechtlich auch nicht zu einem (vollständigen) Wegfall des Arbeitslosengeldanspruchs, sondern „nur“ zu einer zweiwöchigen Sperrzeit, und auch das nur, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweist. Ließe man zu, dass sich der Arbeitgeber auf etwaige freie Stellen berufen kann, die nicht Gegenstand eines Vermittlungsangebots waren und die außerhalb der quantitativen Vorgaben einer Eingliederungsvereinbarung oder eines diesen ersetzenden Verwaltungsakts waren, würde man de facto den Arbeitnehmer in arbeitsrechtlicher Hinsicht einem schärferen Pflichtenregime unterstellen, als ihm sozialversicherungsrechtlich hätte zugemutet werden können. Der notwendige Gleichlauf zwischen Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht wäre aufgehoben.

Fazit

Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Das Thema „Vermeidung von Annahmeverzug“ wird seit einigen Jahren sehr heftig und kontrovers diskutiert. Wir hatten schon im Newsletter 3/23 darüber berichtet. Mit der Entscheidung vom Februar 2024 hatte das BAG hier vermeintlich einen vorläufigen Schlusspunkt gesetzt. Umso erstaunlicher ist es, dass mit dem Urteil des LAG Baden-Württemberg nur etwa ein halbes Jahr später die Diskussion wieder neu eröffnet wird. In der Zeit zwischen dem ersten Erstellen des Newsletters und seines Absendens hat das Bundesarbeitsgericht am 15.01.2025 entschieden (BAG, 5 AZR 273/24) die vom Arbeitgeber eingelegte Revision zurückzuweisen, sodass das Urteil rechtskräftig ist. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

(LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.9.2024 – 4 Sa 10/24)